Vom 13. bis zum 15. September waren wir unterwegs in Frankreich. Die Partnerstadt Douai war das Ziel unserer Jahresfahrt 2024. Vor acht Jahren, so erinnerten sich einige Mitreisende, hatten wir als DFG Douai zuletzt besucht anlässlich der Fêtes de Gayant. Diesmal standen Begegnungen und Besichtigungen im Mittelpunkt.
Die morgendlichen Nebel im Bergischen und in den belgischen Ardennen waren flott durchquert, die leckeren Quiches aus Eigenproduktion (Merci aux bénévoles!) in der Mittagspause verzehrt, als wir bei Sonne und Wolken um zwei Uhr nachmittags unser erstes Ziel, das „Musée du Louvre-Lens“ erreichten. Mit einem kleinen Spaziergang durch den umliegenden Park, vorbei an der Bergarbeiterkolonie, in Sichtweite der mit einer Doppelspitze geschütteten Halde, erreichten wir die Ausstellungshalle mit der „Galerie du temps“ und wurden durch fünf Jahrtausende Kunstgeschichte geführt: gewissermaßen ein Abstract des Pariser Louvre.
Das zentralgelegene Hotel in Douai – an historischer Stelle der ehemaligen Kanonengießerei – erwies sich als idealer Ausgangspunkt für alle weiteren Aktivitäten. Am frühen Freitagabend waren wir zu einem Empfang im „Maison de l’Europe“ eingeladen. Die dort angedockte Gruppe der Table allemande begrüßte uns mit einem Apéritif und einer kleinen Ausstellung einer armenischen Künstlerin aufs Herzlichste. Für einige aus unserer Gruppe, die seit geraumer Zeit über Vermittlung von Imke und Petra in Chat-Kontakt mit einzelnen Mitgliedern der Table allemande stehen, war dies die erste persönliche Begegnung. Verabredungen für unsere nächsten Programmpunkte wurden festgezurrt.
So trat am Samstagmorgen eine deutsch-französische Gruppe zur Stadtbesichtigung an. Unser Stadtführer Michel ließ uns in knapp zwei Stunden unter dem Titel “Les secrets du vieux Douai“ nicht nur unterschiedlichste Fassaden entdecken, sondern öffnete uns auch manche ansonsten verschlossene Tür. Wir durchquerten Gassen und Gässchen, verstanden deren weitere Funktion als Brandmauern zwischen den Wohnquartieren und hörten erstaunliche Geschichten aus der „Stadt der hundert Türme“, wie Douai einst genannt wurde. Es wurde ein Parcours durch die Geschichte der Stadt und die Einflüsse, die sie geprägt haben. Endpunkt schließlich im Hof des Rathauses. Hier war vierzehn Tage zuvor, am 1. September, der 80. Jahrestag der Befreiung von den deutschen Besatzungstruppen am 1. September 1944 feierlich begangen worden. Eine Fotoausstellung mit großformatigen Bildern aus den Tagen der Befreiung war dort noch anzuschauen.
Die Geschichte der Stadt stand auch am frühen Nachmittag zunächst im Mittelpunkt. Jean-Marie und Christian hatten auf den Tischen des großen Tagungsraums in unserem Hotel Dokumente aus der Zeit der deutschen Besatzung der Stadt Douai im Ersten Weltkrieg zur Ansicht ausgebreitet. Douai war vier Jahre von deutschen Truppen besetzt. Erlasse, Aufrufe und Anordnungen der deutschen Kommandantur waren an der Tagesordnung, mal an die französische Bevölkerung gerichtet, mal an die Besatzungssoldaten, mal auf Französisch, mal auf Deutsch, mal zweisprachig. Das Betrachten der Dokumente führte zu zahlreichen Gesprächen.
Auf Wunsch unserer Gruppe konnte noch die Besichtigung des Belfrieds und des Glockenspiels für den weiteren Nachmittag organisiert werden. Unser Stadtführer Michel hatte sich liebenswürdigerweise sofort bereit erklärt, diese durchzuführen. Mitglieder der Table allemande begleiteten uns gerne.
Und so erfuhren wir Weiteres über die wechselvolle Geschichte der Partnerstadt, zu ihrer Situierung in Flandern, einer jahrhundertelang umkämpften Region mit wechselnden Machthabern. Flandrische Grafen, französische Könige, spanisch-habsburgische Herrscher, schließlich wieder französische Könige begehrten die Stadt, das Land und seine Bewohner. Der Belfried zeugt heute noch vom Behauptungswillen der Stadt und ihrer reichen städtischen Kaufmannschaft, was Unabhängigkeit und Selbstverwaltung angeht.
In den oberen Etagen sind die Glocken des Carillons untergebracht und die Zugdrähte, um jede Glocke einzeln anschlagen zu können, laufen in der Glockenspielkammer zusammen. Und hier folgte die Überraschung: Michel hatte uns bis dahin noch nicht verraten, dass er gelernter Carilloneur ist. Nun saß er am Spieltisch und bediente die beiden Manuale, indem er mit den Fäusten auf die hölzernen Tasten, Stöcke genannt, schlug und obendrein mit den Füßen das Pedalwerk bediente. Wir hörten zunächst „Frère Jacques“, sodann zwei klassische Melodien und die ganze Stadt konnte mithören. Ein einzigartiges Klangerlebnis: The sound of Douai. Weltkulturerbe. Zu Recht.
Am Sonntagmorgen trafen wir uns – wiederum mit einigen Mitgliedern der Table allemande – vor den Toren der Besucherzeche Lewarde, wenige Kilometer von Douai entfernt, und konnten in zwei Gruppen – entweder auf Französisch oder auf Deutsch – die Führung durch gut 150 Jahre Bergbaugeschichte antreten. Zentriert auf die Arbeitsbedingungen untertage konnte deren Entwicklung anhand von zahlreichen nachgestellten Szenen der Arbeit lebendig nachvollzogen werden. Das Ganze ist installiert in einem nachgebildeten Stollen, der mal als ausgebaute Strecke, mal als Abbaustreb präsentiert wird. Wir trugen gelbe Helme, hörten gespannt zu und freuten uns, nach einer Stunde wieder ans Tageslicht zu gelangen.
Mit einem gemeinsamen Mittagessen im Restaurant der ehemaligen Schachtanlage endete unsere Begegnung mit den Freunden und Freundinnen aus Douai. Wiedersehen wurden vereinbart. Im nächsten Jahr können Douai und Recklinghausen die 60 Jahre der 1965 beschlossenen Städtepartnerschaft feiern.
Fotos: DFG Recklinghausen, Rainer Lewe, Vera Reppold, Petra Thomas, Hubert Weustenfeld